FAS Forschungs-Foum  

(2002)


 

Im Forschungs-Forum möchten wir Ihnen auch künftig neuere Studien aus dem Umfeld der wissenschaftlichen Diskussion zur »Erziehung nach Auschwitz« im Sinne einer »Erziehung über Auschwitz« vorstellen. Das Online-Forum wird von Ulrike Dittrich moderiert. Wir bitten AutorInnen, die an einer Veröffentlichung ihrer Arbeit interessiert sind, sich an info@fasena.de zu wenden.


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Forschungsprojekte der FAS 

Die FAS bemühte sich selber bis ins Jahr 2002 gleich in mehreren Projekten um eine genauere Bestandsaufnahme zur pädagogischen Auseinandersetzung mit der Geschichte des Holocaust:

Als kleinere Forschungsprojekte können gelten:

 


Generationenspezifische Formen des Umgangs mit der Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust am Beispiel der öffentlichen Bildung

Gemeinsam mit den Bremer Hochschullehrern Prof. Dr. Thomas Leithäuser und Prof. Dr. Rolf Vogt vom Institut für Psychologie und Sozialforschung der Universität Bremen hat die Hamburger Forschungs- und Arbeitsstelle (FAS) »Erziehung nach/über Auschwitz« ein Konzept für eine erste repräsentative Untersuchung zum Unterricht über die Geschichte des Nationalsozialismus und Holocaust an deutschen Schulen entwickelt, das baldmöglichst umgesetzt werden soll.

Hintergrund: Eine Reihe von Zeitungen meldeten Anfang 2000 mit Berufung auf dpa unter dem Titel »Auschwitz? Nie gehört!«, jeder fünfte Jugendliche in Deutschland habe »von Auschwitz als NS-Vernichtungslager noch nie gehört. [...] Laut Emnid-Umfrage haben 21,9 Prozent der 14- bis 17-Jährigen keine Kenntnis vom Holocaust.« »Diese Zahl stellt in der Gesamtuntersuchung«, so der Leiter der Hamburger Forschungs- und Arbeitsstelle (FAS) »Erziehung nach/über Auschwitz«, Dr. Matthias Heyl (35), »einen ›Ausreißer‹ da, der uns in vielerlei Richtungen zu denken gibt. Selbstverständlich ist dieses Ergebnis erschreckend und verlangt nach genauerer Interpretation. Zugleich fällt diese Zahl so stark aus dem Gesamtrahmen der Untersuchung, dass auch Zweifel an ihrer Validität erlaubt sein müssen. In der Tendenz lässt sich aus der Emnid-Studie nämlich auch entnehmen, dass die Zahl der Nichtwissenden immer weiter sinkt, je älter die Befragten sind. Der größte Sprung liegt aber zwischen den 14- bis 17-Jährigen und den 18- bis 20-Jährigen: werden bei den 14- bis 17-Jährigen 21,9% als Nichtwissende ausgewiesen, sind es bei den Nächstälteren ›nur noch‹ 6,9%, die angeben, mit dem Wort Auschwitz nichts anfangen zu können. Insgesamt sagen sogar lediglich 4,3% aller Befragten, sie wüssten nicht, was Auschwitz war. Ein solcher Unterschied in den Zahlen und der eklatante Sprung zwischen 14- und 17-Jährigen einerseits und 18- bis 20-Jährigen andererseits könnte auch auf der äußerst schmalen Datenbasis beruhen: das Bild der 14- bis 17-Jährigen basiert auf den Aussagen von nur 88 befragten Jugendlichen, das sind nicht mehr als drei Schulklassen, von denen 21,9% - oder 19,272(!) Jugendliche in absoluten Zahlen - nichts mit dem Begriff Auschwitz anzufangen wussten. Mit so kleinen Teilgruppen lässt sich kaum mehr verantwortlich argumentieren.«

Die Emnid-Studie wird in ihrer Tendenz allerdings durch eine jüngere Forsa-Studie bestätigt, die bereits im Juli 1998 von der Wochenzeitung »Die Woche« veröffentlicht wurde. Forsa befragte im Juni 1998 immerhin 506 Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren nach ihrem Wissen über den Holocaust und Nationalsozialismus. »Die Woche« meldete damals unter anderem, dass 69% der Befragten wussten, was Auschwitz war, und legt damit den Schluss nahe, dass demnach sogar bis zu 31% der Befragten nichts mit Auschwitz verbinden.

»Beide Studien«, so Heyl weiter, »belegen auf jeden Fall die Notwendigkeit, genauer zu untersuchen, was hinter diesen Zahlen steht und wie sie zustande kommen.« Der Erziehungswissenschaftler und Historiker warnt jedoch nachdrücklich vor vorschnellen Schuldzuweisungen und weist daraufhin, dass es bislang keine umfassendere Studie dazu gibt, wie das Thema Holocaust im Unterricht behandelt wird. »Aus zahlreichen Gesprächen mit Lehrern und Schülern wissen wir, dass das Thema in den Schulen präsent ist - manche Schüler äußern sogar, sie hätten ›zuviel‹ Unterricht über den Holocaust gehabt. Das spiegelt sich allerdings nicht unbedingt im Kenntnisstand wider. Nicht jeder, der sich über ein ›Zuviel‹ beschwert, weiß auch viel über die Zeit des Nationalsozialismus und die Geschichte des Holocaust.«

Auch die Erziehungswissenschaft müsse »Wissenslücken« zugeben, wie Heyl konstatiert: »Um die Daten richtig interpretieren zu können und zur Qualitätssicherung des Unterrichts beitragen zu können, bedarf es einer umfassenden Bestandsaufnahme, die jedoch bislang fehlt.«

Den drei Wissenschaftlern geht es nicht um Schuldzuweisungen, Lehrerschelte oder darum, die pädagogische Praxis verdachtsbetont unter die Lupe zu nehmen. »Eines unserer Ziele ist es, die an den Schulen bereits vorhandene Expertise zu sichern«, so Thomas Leithäuser (60). »An vielen Schulen steht ein Generationenwechsel in den Lehrerzimmern bevor: meine Generation geht, jüngere Kollegen kommen nach. Darum gilt es einerseits, bewährte Konzepte im pädagogischen Umgang mit diesem Thema für künftige Generationen zu bergen, und andererseits, gemeinsam mit den Lehrern und Schülern neue Zugänge zu eröffnen.« Dabei will das Wissenschaftlerteam »mit den Beteiligten forschen, nicht über sie und vor allem nicht über ihre Köpfe hinweg.«

Leithäuser, Vogt und Heyl, die selber unterschiedlichen Generationen angehören, betonen, dass jede Generation wieder neue Fragen an die Geschichte stellt, und Heyl gibt zu bedenken: »Wir beobachten, dass sich in der Enkel- und Urenkelgeneration die Perspektive auf das damalige Geschehen mit wachsendem zeitlichen Abstand verändert - aber in welche Richtung? Hier fehlen uns empirisch gesicherte Erkenntnisse.«

»Uns geht es nicht darum, nur Zahlen um der Zahlen willen zu produzieren«, erklärt Thomas Leithäuser: »Die zu erwartenden Ergebnisse unserer Studie können wichtige Impulse für die Gestaltung von Unterrichtsmaterialien und Lehrplänen ebenso liefern wie für die Lehreraus- und -fortbildung

Die Wissenschaftler wollen so bald wie möglich mit ihrer Studie, die Unterrichtshospitationen, Fragebogenuntersuchungen und Gruppen- und Einzelinterviews mit Lehrern, Schülern und Eltern vorsieht, in mindestens drei Bundesländern beginnen (ein Stadtstaat und je ein Flächenland in den neuen und den alten Bundesländern). Erste Gespräche mit einzelnen Kultusministerien haben bereits stattgefunden. Die Reaktionen auf das Projekt aus den Ländern sind ausgesprochen positiv.

Das Vorhaben genießt auch große internationale Aufmerksamkeit. Die auf schwedische Initiative hin 1998 gegründete »Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research«, an der sich bislang neun Staaten beteiligen, hat das Projekt als Teil einer internationalen Kooperation unter Beteiligung Deutschlands, Schwedens, Großbritanniens und Polens während ihrer Sitzung Ende Januar in Stockholm nachhaltig befürwortet.

Während des »Stockholm International Forum on the Holocaust«, das aus der »Task Force« hervorgegangen ist und an dem Ende Januar Staats- und Regierungschefs zahlreicher Staaten teilgenommen haben, haben auch Kollegen aus Israel, den USA und den Niederlanden ihr Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet. In diesem Zusammenhang gehört auch das Auswärtige Amt zu den Befürwortern - ebenso wie der angesehene israelische Historiker Prof. Dr. Yehuda Bauer, der die »Task Force« berät.

»In vielen Ländern - nicht nur in Deutschland - stellt sich heute die Frage«, so Matthias Heyl, »wie wir heutige Jugendliche am besten erreichen, um die Erinnerung an die Geschichte des Holocaust wach zu halten.« - »Vor vier Jahren,« berichtet Heyl, »fand eine erste internationale Fachtagung zur ›Evaluation‹ der ›Holocaust Education‹ in den USA statt. Die dort versammelten Experten aus aller Welt waren sich darin einig, dass wir zuverlässige Studien benötigen, die uns Auskunft über die Effekte der pädagogische Auseinandersetzung mit der Geschichte des Holocaust geben. Das wissenschaftliche Interesse daran ist in der Zwischenzeit noch weiter gewachsen, wie unsere Gespräche am Rande der Stockholmer Konferenz zeigten.«

»Uns interessiert besonders«, so Heyl, »welche Bedeutung Jugendliche der Geschichte des Holocaust beimessen, und ob sie in der Lage sind, das Gewusste sinnvoll miteinander in Beziehung zu setzen. Man kann von Auschwitz gehört haben, ohne ihm eine Bedeutung zuzugestehen. Umgekehrt gilt aber auch: Ohne etwas über die Geschichte des Holocaust zu wissen, kann man ihm keine Bedeutung beimessen.«

 


 

»Proposal« 

IPS

Prof. Dr. Thomas Leithäuser
Prof. Dr. Rolf Vogt

FAS

Dr. Matthias Heyl

About the Need to Evaluate the Methods and Effects of Holocaust Education: Statement for the »Stockholm International Forum on the Holocaust«

Some of the member states of the "Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research" have developed an increasing expertise in teaching about the Holocaust during the last 30-40 years. At the beginning of a new century, with the ongoing generational shift in the class rooms, there is some need to start with an evaluation of our educational efforts, methods and teaching techniques and their effects on today’s students.

Some questions seem to be of a fundamental importance for the future of Holocaust Education:

  • How to preserve the expertise gained by teachers of the "Second Generation after Auschwitz" during the last decades for the schools in the next century?

  • What relevance of this subject do teachers and students see or develop in the process of confronting the history of the Shoah?

  • Is there a specific approach towards this subject within different generations?

  • What are the main issues and challenges in teaching about the Holocaust, in today’s classrooms, and in the future?

To answer the question "Holocaust Education - Where are we going?", we need to know, where we come from, and where we are, now.

Where do we come from? - This question reflects on the historical background of our societies during the Holocaust and on the ongoing process of contextualization of the past in our societies.

Where are we now in Holocaust Education? From international conferences like the "Stockholm International Forum on the Holocaust" we learn a lot about very elaborated educational projects and programs, but the "average teacher" rarely has a chance to attend those conferences or teacher in-state trainings based on the experience of organizations like Yad Vashem, the US Holocaust Memorial Museum, or Facing History and Ourselves, just to name three outstanding institutions in the field of Holocaust Education. But this does not mean, at all, that there is no or few expertise in Holocaust Education in our schools.

From time to time we read about surveys done among students, where they were asked about their knowledge about the Holocaust, and it makes no big differences whether they were held in Germany, Israel, Sweden or somewhere else. The area behind the classroom doors seems to be "terra incognita" to the scholarly evaluation of Holocaust Education. Together with the students and teachers we want to find out how to improve Holocaust Education.

Thus, Prof. Dr. Thomas Leithäuser and Prof. Dr. Rolf Vogt from Bremen University and Dr. Matthias Heyl from the Research and Study Center for Holocaust Education in Hamburg, Germany, are planning to do a comparative study in a representative sample of German schools. Leithäuser and Vogt are scholars in the field of psychology, socio-psychology and psychoanalysis; Heyl is a scholar in the field of Holocaust Education and a historian. In their research project they want to use different methodological tools and techniques like questionnaires, group-discussions and interviews with students, teachers and parents, and they are planning to attend classes related to the subject at school.

The main questions are:

  • What do teachers teach about the Holocaust, and what do their students get out of it?

  • What relevance, motivations and teaching aims do teachers relate to this subject?

  • How do they teach?

  • What kind of response do they expect from their students?

  • What do their students expect from the teachers?

  • Are there approaches towards this subject specifically related to the generational bondage of the teachers and/or students?

  • What kind of teaching about the Holocaust seems to be most "effective"?

  • How to balance emotional and cognitive approaches in teaching about the Holocaust?

All these questions can have some impact on the preservation of existing expertise in teaching about the Holocaust, on the improvement of Holocaust Education for the future and for the development of new and innovative approaches, materials (including the usage of new media like internet and CD-ROMs), and programs.

The study is based on a tradition of scholarly evaluation in the field of Holocaust Education in the area of textbook analysis (e.g. done in Germany, Israel, the US and the Netherlands), and other attempts of evaluation.

This project is open for international cooperation and could function as a pilot-study for a comparative study in some of the member states of the "Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research".

Zu den zitierten Umfragen

 


Jeugdvoorlichting over de Tweede Wereldoorlog en de relatie tot het heden. Opvattingen en ervaringen in Nederland, Belgie, Denemarken, Duitsland en Frankrijk

Die FAS war mit einem Kommentar an einer Studie beteiligt, die das niederländische Ministerie van Volksgezondheid, Welzijn en Sport (VWS), Directie Verzetsdeelnemers, Vervolgden en Burger-oorlogsgetroffenen (DVVB), in Auftrag gegeben hat. Die Studie mit dem Titel »Jeugdvoorlichting over de Tweede Wereldoorlog en de relatie tot het heden« untersucht den pädagogischen Umgang mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs in den Niederlanden, Belgien, Dänemark, Deutschland und Frankreich. Durchgeführt wurde die Untersuchung von Horn Project Research.

Der Leiter der FAS, Dr. Matthias Heyl, hat den Untersuchungsteil zur Bundesrepublik Deutschland kommentiert.

Die Untersuchung ist in drei Bänden publiziert worden:

Die Studie kann unter folgender Adresse bestellt werden:

Ministerie van Volksgezondheid, Welzijn en Sport, Dir. DVVB
Parnassusplein 5, Postbus 20350, NL - 2500 EJ Den Haag
Tel.: +0031-70-3407890 / Fax: +0031-70-3406472