Die Gesellschaft des Holocaust

von Dr. Matthias Heyl (2002)


In verschiedenen Projektphasen werden die SchülerInnen angeregt, sich mit den Spuren der Geschichte in ihrer Umgebung auseinander zu setzen. Dazu gehören Interviews mit Angehörigen und FreundInnen (»Was wisst Ihr über den Holocaust?«), kleine Literaturrecherchen (»Was steht zum Thema in unserer Schulbibliothek / in unseren Geschichtsbüchern?«), evtl. Archivrecherchen (»Was stand am 9. und 10. November 1938 in unserer Lokalzeitung?«). In der Arbeit mit historischen Quellen, die per eMail zur Verfügung gestellt werden, und mit Fotos gewinnen die SchülerInnen einen differenzierten Überblick über das damalige Geschehen, entwickeln eine Zeitleiste, ein kleines »Lexikon des Holocaust« und ein eigenes Schema der »Gesellschaft des Holocaust«. Im Mittelpunkt stehen hier die individuellen Entscheidungssituationen und Handlungsoptionen der damaligen Täter, Verfolgten, Zuschauer, Helfer (der Nazis / der Verfolgten). Zur Hintergrundinformation wird der von Ido Abram und Matthias Heyl verfasste Band »Thema Holocaust - Ein Buch für die Schule« empfohlen, der über die FAS bezogen werden kann, da mit den darin enthaltenen Quellen und Materialien gearbeitet werden soll. Das Projekt bietet sich für ein fächerübergreifendes Projekt (etwa: Deutsch, Englisch und Geschichte) an. Es nehmen amerikanische SchülerInnen teil, die z.T. auf Deutsch schreiben werden. Als Produkt können eine Ausstellung oder ein Reader zum Thema stehen, die als Web-Page oder als eMail-Dokument zur Verfügung gestellt werden. Die Unterrichtseinheit kann durch ein fächerübergreifendes Projekt (Deutsch, Geschichte, Kunst) zu dem Comic »Maus« von Art Spiegelman erweitert werden.

Sprachen: Deutsch und / oder Englisch | Unterrichtsfächer: Geschichte, Englisch, Deutsch | Klassenstufe: 9. / 10. Klasse und älter, alle Schularten

 

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Kooperationspartner zum Thema Holocaust im Internet

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eMail-Projekt »Die Gesellschaft des Holocaust«

Es bietet sich an, das Internet mit seinen Angeboten im WWW und eMail als schnelles Kommunikationsmittel auch im Bereich der "Holocaust Education" einzusetzen. Durch den schnell und einfach herstellbaren Kontakt zu amerikanischen SchülerInnen haben deutsche SchülerInnen die Möglichkeit, sich über ein überaus komplexes Thema mit Gleichaltrigen zu verständigen, die vielleicht ganz andere Perspektiven und Fragen in Hinblick auf den Holocaust entwickeln. Im Projekt "Die Gesellschaft des Holocaust" werden sich daher deutsche und amerikanische SchülerInnen gemeinsam mit der Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung auseinandersetzen.

Es gibt mehrere Projektformen:

Diese Projektformen werden hier in englischer Sprache vorgestellt.

Die Projekte werden moderiert, die LehrerInnen erhalten also Hilfestellungen und Materialien für den Unterricht.

eMail-Projekte

Es gibt eine Reihe von Angeboten, die für Projekte zum Thema Holocaust die Kommunikation per eMail nutzen. Pädagogische Projekte zu diesem Thema mit einer eMail-Komponente gibt es allmählich in wachsender Zahl, teilweise im Bereich der Universitäten und Colleges, zum anderen Teil aber auch für Schulen.

Zu nennen ist etwa für den schulischen Bereich das amerikanische I*Earn Holocaust/ Genocide Project, das eine Mitgliedschaft gegen Gebühr zur Teilnahme erforderlich macht. Dieses Projekt richtet sich an SchülerInnen der siebten bis zwölften Klasse.

Die Forschungs- und Arbeitsstelle (FAS) »Erziehung nach/über Auschwitz« hat mit ihrem eMail-Projekt »Die Gesellschaft des Holocaust« einen Zugang zum Thema Holocaust entwickelt, der die Handlungs- und Entscheidungsspielräume der Menschen in der historischen Situation selbst in den Mittelpunkt rückt. Anhand konkreter biographischer Materialien und Fotos diskutieren die SchülerInnen und LehrerInnen über Kategorien wie Täter, Opfer, Zuschauer, Helfer (der Verfolgten/ der Nazis), wie aus »ganz normalen Männern« (Christopher Browning) oder aus Zuschauern Täter oder Helfer wurden. Damit nehmen wir den von dem israelischen Historiker Yehuda Bauer formulierten Imperativ auf: »Thou shalt not be perpetrators! Thou shalt not be victims! But above all, thou shalt not be bystanders!« Die Zuschauer werden zum Ausgangspunkt der Betrachtung – eine Perspektive, die uns auch aus gegenwärtigen Situationen bekannt ist. In der Konkretion werden auch komplexe Fragen der moralischen Bewertung von Täter- und Zuschauerschaft besser diskutierbar. Nicht schnelle Schuldzuweisungen sind das Ziel oder Ergebnis, sondern ein Einblick in die Komplexität des Geschehens. Bei vielen Teilnehmern entsteht ein Bedürfnis, zu fragen: wie haben sich meine Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern eigentlich damals verhalten? Die Zuschauer bilden das Zentrum der »Gesellschaft des Holocaust«, und der einzelne entschied sich von Zeit zu Zeit, als Mitläufer, Nazi, Helfer der Nazis oder gar Täter mitzumachen, oder aber er blieb Zuschauer, oder er wechselte zu den Helfern der Verfolgten. Die Geschichte erscheint damit wieder stärker als von Menschen gemacht, gestaltet und erlebt..

Mehr über diesen Ansatz erfahren Sie während unserer Seminare und Lehrerfortbildungen, auf unserer Website und in dem bei der FAS erhältlichen Band »Thema Holocaust – Ein Buch für die Schule«.

Neben einer strukturierten Einführung in das Geschehen und der Erarbeitung zentraler Begriffe und Ereignisse steht die Auseinandersetzung mit individuellen Entscheidungssituationen (»choices« und »choice-less choices«) im Mittelpunkt. Dieser Ansatz hat in den letzten Jahren verschiedene pädagogische Materialien zum Thema Holocaust in den USA stark beeinflusst. In der historischen Konkretion anhand von Quellen aus der Perspektive der Täter, Verfolgten, Zuschauer, Profiteure, Helfer der Nazis (Mitläufer, Kollaborateure…) und der Verfolgten (Retter) soll versucht werden, das Interesse der SchülerInnen für ein Thema zu wecken, von dem sie zeitlich und teilweise auch räumlich weit entfernt sind. Ansätze forschenden Lernens sollen den SchülerInnen Gelegenheit geben, die Spuren dieser Geschichte in ihrer eigenen Umgebung zu suchen.

Dieses Projekt ist so konzipiert, dass die interessierten LehrerInnen vorher eine Vorstellung von dem Ablauf gewinnen sollen, damit sie – in Ansprache mit den KollegInnen in der Partnerklasse – Schwerpunkte setzen können. Es ist eine Minimalplanung denkbar, in der bei zwei Stunden Unterrichtszeit und erwartetem außerschulischem Engagement der Schülerinnen und Schüler etwa vier bis fünf Wochen reichen dürften, die Kernaktivitäten zu bearbeiten.

Das Projekt lässt sich auf deutscher Seite unter verschiedenen Akzentuierungen vor allem in den Fächern Geschichte, Englisch, Deutsch, Gemeinschaftskunde und Informatik realisieren, wobei als Zielgruppe SchülerInnen aller Schularten ab der 9. bzw. 10. Klasse gedacht sind. Die Kommunikationssprachen können sowohl Deutsch als auch Englisch sein.

Der Projektentwurf gliedert sich in verschiedenen Phasen. Zum Einstieg sollten die Schülerinnen und Schüler nach Spuren der Geschichte in ihrer Umwelt suchen, etwa, indem sie ihre Eltern, Großeltern und Mitschülerinnen und Mitschüler befragen, was diese über den Holocaust wissen. Sie können ihre Schulbibliothek nach Büchern zum Thema durchsuchen oder einander Jugendbücher vorstellen, die sie bereits darüber gelesen haben. Diese Aktivitäten richten sich einerseits an die eigene Klasse, andererseits aber auch an die Partner in der jeweils anderen Klassen.

Die Aufgabe, sich in der Bibliothek umzuschauen, kann nach einer ersten Orientierungsphase um die Aufgabe ergänzt werden, sich einzeln oder in Gruppen über bestimmte Begriffe, Ereignisse und Komplexe (etwa: Aprilboykott, Nürnberger Gesetze, »Kristallnacht« / Novemberpogrom, St. Louis, Deportation, G(h)etto, KZ, »Endlösung«, Holocaust, Schoah usw.) in Lexika und Geschichtswerken zu informieren. Einzelne Begriffe können dabei im wechselseitigen Austausch zwischen Deutschland und den USA weiter problematisiert werden. Eine Zeitachse, die im Unterricht erarbeitet wird verhilft zu einem ersten auch den zeitlichen Horizont strukturierenden Zugang.

Die eigentliche Arbeit zur »Die Gesellschaft des Holocaust« soll die Täter, Zuschauer, Mitläufer, Profiteure, Kollaborateure, Verfolgte und Helfer der Verfolgten (Retter) in den Blick nehmen. Anhand von ausgewählten Fotos und Texten, von denen einige durch den Moderator bereitgestellt werden, sollen diese Kategorien und Begriffe erarbeitet und problematisiert werden. Quellen aus der Perspektive von Angehörigen dieser verschiedenen Gruppen sollen die Auseinandersetzung mit dem Thema zugleich individualisieren und konkretisieren, die Schülerinnen und Schüler aber auch in die Lage versetzen, einen strukturierten Zugang zu gewinnen, in dem die Entscheidungssituationen der damals Lebenden thematisiert und eingeordnet werden können. Es geht um »choices«, Entscheidungssituationen, in denen der einzelne gefordert war, eine Wahl hinsichtlich des eigenen Verhaltens zu treffen.

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Die Zuschauer bilden  das Zentrum – sie machen erst einmal die Mehrheit der Bevölkerung aus, und nahezu jeder nimmt zu einem frühen Zeitpunkt die Rolle des Zuschauers ein. Auf der einen Seite gibt es die expliziten Täter, auf der anderen Seite die Verfolgten. Die Täter hatten eine Wahl: sie konnten sich bis zu einem gewissen Grade entscheiden, ob sie mittun wollten. Manche trugen durch ihr Verhalten zur weiteren Radikalisierung des Geschehens bei. Ein Teil der Verfolgten wurde ebenfalls aufgrund einer Entscheidung verfolgt - etwa politische Gegner des Nationalsozialismus, oder aber Menschen, die anderen Verfolgten Zuflucht boten oder anderweitig halfen. Die Juden hatten keine Wahl - sie wurden von den Nazis verfolgt, gleichgültig, was sie taten. Nur in äußerst begrenztem Maße konnten sie bestimmen, wie sie auf die Verfolgung reagieren wollten - einige wählten den offenen Widerstand (etwa als Partisanen, als Gettoaufständische oder als Angehörige einer Widerstandsbewegung). Andere versuchten, dem Geschehen durch Flucht oder Untertauchen zu entkommen, und wieder andere hofften, durch eine partielle Kooperation und ein bedingtes Nachgeben auf deutschen Druck einen Großteil der Juden zu retten. Hier stoßen wir zu den »choice-less choices« in den Gettos vor, zur ausweglosen Situation der »Judenräte«.

Zwischen Tätern und Verfolgten stehen aber noch weitere Gruppen - die Helfer und Retter der Verfolgten, die Mitläufer, die Helfer der Nazis und die »einfachen« oder »ganz gewöhnlichen« Nazis, die von den Ideen der Nazis zwar überzeugt waren, aber eher rhetorisch als praktisch daran Anteil hatten. All diese Gruppen lassen sich weiter differenzieren. Anhand von Quellen können wir die moralischen Dilemmata und die gesellschaftlichen Grauzonen behandeln.

Bei einer bloßen Gegenüberstellung von Tätern und Opfern verlieren wir all zu schnell die Zwischentöne aus dem Blick, die auch menschlich interessanter sind. In der Dichotomie von »Gut« gegen »Böse« begünstigen wir gleichermaßen die vorschnelle Identifikation und die Faszination des Bösen. Die Erkenntnis, dass die Menschen damals – wie wir heute – widersprüchlich und ambivalent waren, trägt eher dazu bei, das Geschehen als reale Geschichte und nicht als moralisches Lehrstück zu begreifen.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass Menschen damals durchaus in verschiedenen Situationen verschiedene Rollen einnehmen konnten: Oskar Schindler etwa war Mitglied der NSDAP, profitierte als »Arisierer« von der Enteignung jüdischer Unternehmenseigentümer und von der Ausbeutung jüdischer Arbeitskräfte. In seinem Leben gab es aber den Punkt, wo er sich entschied, »seine« Juden zu schützen. Er wurde zum Helfer, zum Retter und selber zum potentiell Verfolgten.

In diesem und ähnlichen Beispielen liegt einiger Zündstoff für Diskussionen, die die SchülerInnen einerseits weit mehr tangieren dürften als die bloße Gegenüberstellung von »Gut« und »Böse«. Sie treffen andererseits auf den bei Neunt- und Zehntklässlern weithin anzutreffenden moralischen Rigorismus, der die Welt gerne so eindeutig gegliedert wüsste.

Schließlich können und sollen die SchülerInnen darüber nachdenken, welche Relevanz das Thema für sie hat und was sie daran interessiert? Worüber würden sie gerne mehr erfahren?

 

Konkretisierung für den Unterricht

Hier sollen die einzelnen Komponenten des Angebots skizziert werden. Als Arbeitsaufwand wird jeweils von etwa ein bis zwei Unterrichtsstunden ausgegangen. Dabei sind die außerhalb der Unterrichtszeit liegenden Aktivitäten (jede Schülerin / jeder Schüler befragt ein oder zwei Personen zum Thema Holocaust, einige suchen in der Bibliothek nach Literatur für das Projekt…), die als Hausaufgabe vergeben werden können, nicht mit berücksichtigt. Der zeitliche Aufwand richtet sich auch danach, wie viele Aufgaben in Gruppen erarbeitet werden, welche Selbständigkeit bei der Arbeit zugelassen, gewünscht und gezeigt wird. Die eMail-Komponente liegt im Austausch der jeweiligen Ergebnisse und in der Diskussion über sie in der Klasse und zwischen den Klassen. Einige Projektteile können ganz von nebeneinander arbeitenden Arbeitsgruppen übernommen werden, die sich dann ihre Ergebnisse im Plenum und via eMail gegenseitig vorstellen.

Als deutsche Grundlage auch für die Materialienauswahl dient der bei der FAS erhältliche Band »Thema Holocaust - Ein Buch für die Schule«.

In einer Erkundungsphase orientieren sich die SchülerInnen. Diese Aktivitäten können parallel von den SchülerInnen in Gruppen durchgeführt werden.

Zeitlicher Umfang: 3 Schulstunden (1. Auftrag, Beginn der Bearbeitung; 2. Bearbeitung; 3. Auswertung und Diskussion)

In einer weiteren Orientierungsphase werden einige Grundlagen für die Diskussionen mit den amerikanischen SchülerInnen erarbeitet:

Zeitlicher Umfang: 3 Schulstunden (1. Auftrag, Beginn der Bearbeitung; 2. Bearbeitung; 3. Auswertung und Diskussion)

Zeitlicher Umfang: 3 Schulstunden (1. Auftrag, Beginn der Bearbeitung; 2. Bearbeitung; 3. Auswertung und Diskussion)

Das eigentliche Projekt zur »Gesellschaft des Holocaust« beginnt in der eingehenderen Arbeit mit den Fotos und mit Quellen aus der Perspektive der Täter, Opfer und Zuschauer, die weitere Ausdifferenzierung unter Hinzuziehung von Quellen aus der Perspektive von Rettern, Kollaborateuren, Profiteuren und die Strukturierung und graphische Umsetzung im Modell.

Besonders interessant erscheinen in der Diskussion (parallel, in Gruppen) mit den amerikanischen PartnerInnen die folgenden Fragestellungen:

Zeitlicher Umfang: 5 Schulstunden (1. Auftrag, Diskussion, eMails an PartnerInnen; abwarten der Antworten; 2. Sichtung der Reaktionen der PartnerInnen, Diskussion in Gruppen und im Plenum, eMails an PartnerInnen; abwarten der Antworten; 3. Sichtung der Reaktionen der PartnerInnen, Diskussion in Gruppen und im Plenum, eMails an PartnerInnen; abwarten der Antworten; 4. Sichtung der Reaktionen der PartnerInnen, Diskussion in Gruppen und im Plenum, eMails an PartnerInnen; 5. Vorstellung der Ergebnisse)

Mögliche Projektergebnisse sind ein selbsterstelltes Projektheft oder eine Ausstellung zum Thema, die als eMail verschickt oder als Web-Dokument auf der Homepage des »Transatlantischen Klassenzimmers« und der FAS vorgestellt werden können.

Als Ergänzung lassen sich beispielsweise Projekte zu den jeweils auf Deutsch und Englisch vorliegenden CD-ROMs »Maus« (zu Art Spiegelmans gleichnamigen Comic) oder »Gegen das Vergessen« denken, dies wiederum im fächerübergreifenden Unterricht in der Auseinandersetzung mit dem Inhalt [Geschichtsunterricht] und Medium [Deutsch- und Kunstunterricht; Medienpädagogik].

Natürlich lassen sich die in der Skizze vorgeschlagenen Schritte, sich dem Thema zu nähern, auch ohne Nutzung des Internets realisieren. Das besondere des Projekts »The Society of the Holocaust« in seinen Grundzügen ist jedoch, dass das Internet hier nicht vornehmlich rezeptiv (als Medium der Quellen- und Informationsgewinnung), sondern kommunikativ (als Medium für den Dialog, die Kommunikation zwischen deutschen und amerikanischen Schülerinnen und Schülern) genutzt wird.

An verschiedenen Stellen sollen die SchülerInnen miteinander Ergebnisse, Ansichten, Perspektiven und thematische Einzelaspekte vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen Erfahrungen und Lebenswelten diskutieren. In einer jüdischen High School in New Jersey befragen jüdische SchülerInnen und Schüler vielleicht Überlebende, oder die SchülerInnen einer Schule in Ohio machen einen »liberator« ausfindig, der als GI an der Befreiung eines Lagers beteiligt war. Oder Hamburger SchülerInnen besuchen die KZ-Gedenkstätte Neuengamme oder Bergen-Belsen oder aber die Gedenkstätte in der früheren Schule am Bullenhuser Damm, in der jüdische Kinder nach schrecklichen medizinischen Versuchen ermordet wurden, und berichten davon. Sie machen einander Informationen und Perspektiven zugänglich, die die Multiperspektivität und die Vielfalt der Bezüge zum Thema verstärken, und die für sie an ihrem jeweiligen Lern- und Lebensort kaum oder gar nicht zu gewinnen wären. Da dies in einem persönlichen, via eMail geführten Austausch geschieht, wird so im günstigsten Falle der jeweilige persönliche Bezug zum Thema unterstützt. Und beide, amerikanische und deutsche Jugendliche, setzen sich mit der zeitlichen und (insbesondere für die amerikanischen Partner) räumlichen Distanz zum Geschehen auseinander.

Oft wehren deutsche SchülerInnen (und nicht nur sie) das Thema mit der Begründung ab, es sei so lange her, für sie nicht mehr relevant. Wie kommt es dann, daß amerikanische SchülerInnen sich damit auseinandersetzen, obwohl ihre eigene Geschichte mit der Geschichte des Holocaust vielleicht viel weniger verwoben ist? Oder: wenn z.B. jüdisch-amerikanische (z.T. ohne survivor-background) oder afroamerikanische SchülerInnen formulieren, worin sie die Relevanz des Themas für sich erkennen, ist das ein Anlass für ihre deutschen Partner, noch einmal über die eigenen Bezüge nachzudenken.

Zugleich lassen sich Stereotype in der Wahrnehmung dieser Geschichte leichter erkennen, wenn wir so unterschiedliche Gruppen in einen Dialog miteinander bringen. Die Notwendigkeit, dies in der Regel in englischer Sprache zu tun, bringt neben der sprachlichen Herausforderung für die deutschen SchülerInnen und LehrerInnen (und der Anforderung an die Fremdsprachenkompetenz) auch manche Phrasen zum Einsturz, mit denen wir das Thema oft bearbeiten und zugleich abwehren: die Referenzrahmen sind unterschiedlich, in denen wir unsere Ansichten und Perspektiven formulieren, und mancher hohle Ritus wird von den AmerikanerInnen bereits sprachlich nicht verstanden, scheint sogar unübersetzbar. Die sprachliche Reduktion kann zur Bagatellisierung führen, kann aber auch zur Konkretion herausfordern.

Hier liegen Chancen, die Eigenwahrnehmung im Dialog an der Fremdwahrnehmung durch die anderen zu überprüfen.

Differenzierungen tun Not, wenn es bei diesem Thema um »the Germans«, »the Nazis«, »the Jews« und »the Americans« geht. Im Idealfall bringt die Multiperspektivität eine Schärfung des eigenen Blicks.

Ähnliches (und anderes) ließe sich etwa von deutsch-israelischen, deutsch-polnischen oder deutsch-niederländischen eMail-Projekten erwarten, denen das Transatlantische Klassenzimmer ebenfalls offen steht.

Ein Problem bei der Durchführung unserer eigenen Internetangebote war bislang, deutsche LehrerInnen zu finden, die zugleich

Diese Kombination ist eher selten anzutreffen, zumal LehrerInnen der gesellschaftlichen Fächer vielfach noch den Einsatz des PCs im Unterricht scheuen, während die PC-Freaks unter den KollegInnen meist die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer unterrichten und mit Argusaugen über die mühsam konfigurierten PC-Labore wachen.

Wenn diese Hürde genommen ist (an ihr ist unser Projekt bislang gescheitert), gibt es noch einige Herausforderungen im Detail: Wie soll man ein Projekt zwischen zwei Gruppen koordinieren, ihren Erwartungen Raum geben, die voneinander erst einmal kaum mehr wissen als eine meist kryptische eMail-Adresse? Wie geht die Kommunikation zwischen zwanzig SchülerInnen hüben und dreißig drüben durch das Nadelöhr eines einzigen eMail-accounts? Wie passt man ein solches Projekt ein in einen Stundenplan, der einem den Zugang zum Internet nur einmal pro Woche für 45 Minuten ermöglicht (man muss in den Raum kommen, Rechner anstellen, eMails abholen, lesen, diskutieren, antworten, Abstürze aller Art nicht eingerechnet)? Wie bereitet man ein Projekt vor, von dem die amerikanische Lehrerin kurz entschlossen sagt: »Ich will Montag in einer Woche beginnen«, während der deutsche Kollege noch um eine Lehrerfortbildung in Sachen Internet bittet?

Die Crux liegt im Detail. Die Schnelligkeit des Internets, seine »Gleichzeitigkeit« ist Herausforderung und teilweise Hemmnis. Wie fügt man dieses Medium in einen durch einen 45-Minuten-Rhythmus fragmentierten Schulalltag ein? Wie arbeiten Gruppen zusammen, die nicht nur durch einige hundert oder tausend Kilometer voneinander getrennt sind, sondern auch durch Zeitunterschied, verschiedene Feiertage, Ferien, Lehrpläne etc.?

Darin hat das Transatlantische Klassenzimmer (TAK) einige Erfahrungen gesammelt und kann mit dem nötigen Know-how aushelfen. LehrerInnen, die sich an dem Projekt beteiligen, werden durch den Moderator unterstützt.

 

Technische Voraussetzung

Einzige technische Voraussetzung ist ein eMail-Anschluss. Wenn die Konfiguration des Schul-Netzwerkes es erlaubt, dass jedeR TeilnehmerIn eine eigene eMail-Adresse erhält, ist das von Vorteil; es muss aber nicht sein. Es erleichtert die Kommunikation der SchülerInnen untereinander im Verhältnis 1:1. Sie wollen sich in der Regel nicht nur zum Thema schreiben, sondern ihr Gegenüber auch näher kennen lernen, erfahren, welche Hobbies sie haben, welche Musikgruppen sie favorisieren etc. Solche Nebenstränge in der Kommunikation erscheinen nötig und sinnvoll, weil sie es erleichtern, sich im anonymen eMail-Austausch besser kennenzulernen, sich ein Bild von den PartnerInnen zu machen usw. Durch eigene eMail-Adressen kann derlei direkt ausgetauscht werden.

Das TAK hat für den eMail-Verkehr in seinen Projekten eine eigene TAKiquette entwickelt, um durch einige Regeln die Kommunikation zu erleichtern.

Die projektbezogene Kommunikation läuft über eine Mailing Liste, die vom TAK eingerichtet wird. Es ist eine eigene eMail-Adresse, die als Postverteiler für die am Projekt beteiligten fungiert [z.B.: projekt@tak.schule.de]. Die SchülerInnen richten ihre eMails an diese Adresse, und alle SchülerInnen und LehrerInnen der beteiligten Klassen sowie der Moderator bekommen eine Kopie.

Damit die jeweiligen Adressaten Bescheid wissen, dass die eMail für sie gedacht ist, soll in der Themenzeile das Thema und der Name des Adressaten genannt werden. Wenn es eine eMail-Adresse jeweils für die gesamte Klasse gibt, können die LehrerInnen oder bestimmte SchülerInnen als Postmaster für die Weiterleitung der eMails an die Empfänger suchen.

Im seltensten Fall werden die SchülerInnen der Partnerklassen gleichzeitig am PC sitzen. Neben Unterschieden im Stundenplan (wir haben Geschichte am Dienstag, die Partnerklasse am Donnerstag) wirkt sich der Zeitunterschied zwischen Deutschland und den USA aus. Das – im Prinzip – sehr schnelle Medium verliert an Geschwindigkeit. Jemand muss also vor der nächsten Geschichtsstunde die Post abholen. Beide Seiten müssen sich außerdem bemühen, sich an die zeitlichen Absprachen zu halten, damit der Arbeitseifer nicht durch Frustrationen wegen fehlender Reaktionen erlahmt.

Zeitlich überschaubare Projekte erscheinen besonders wichtig, damit sie sich nicht totlaufen.

Die Organisatoren der FAS und vom TAK bemühen sich, die LehrerInnen möglichst frühzeitig miteinander in Kontakt zu bringen, damit verbindliche Absprachen getroffen und Unterbrechungen durch Ferien umgangen werden können. Neben der Mailing Liste für das Projekt gibt es eine weitere eMail-Adresse, die als Postverteiler zwischen den beteiligten LehrerInnen und dem Moderator fungiert; sie ermöglicht projektbegleitend ein geschlossenes Lehrerzimmer zur Feinabstimmung.

Der Moderator [erreichbar per eMail über info@fasena.de] steht permanent im Kontakt mit den beteiligten LehrerInnen, berät sich mit ihnen und liefert Impulse für die Arbeit, hält Materialien und weitere Anregungen bereit und versucht, technische Probleme mit zu beheben.

Die Projektplanung ist flexibel und soll Ihren Bedürfnissen und denen Ihrer SchülerInnen angepasst werden. Die FAS kann Ihnen für die Arbeit im Unterricht Vorschläge unterbreiten, Lernort bleibt jedoch das Klassenzimmer, in dem die über das Internet gewonnenen Informationen oder erworbenen Quellen erörtert, diskutiert und gewichtet werden.