Die »Polenausweisung« vom 28. Oktober 1938


Vielen Historikern gelten die Ereignisse des  9. / 10. November 1938 als eine Art »Testfall« der antijüdischen Politik der Nazimachthaber. Bereits kurz zuvor, am 28. Oktober 1938, wurden reichsweit Juden polnischer Herkunft und deren Familien aus Deutschland, Österreich und dem Sudetenland nach Polen abgeschoben. Darunter die Familie von Herschel Grynszpan, der den Nazis mit seinem Attentat auf den Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Paris den willkommenen Anlass für die antijüdischen Ausschreitungen am 9. und 10. November 1938 bot. 

Im Laufe des Jahres 1938 hatte die Reichsregierung Bemühungen entwickelt, Juden osteuropäischer Herkunft, die sich im Deutschen Reich angesiedelt hatten, in ihre Ursprungsländer auszuweisen. Nach den Juden sowjetischer und rumänischer Herkunft traf es im Oktober 1938 jene polnischer Herkunft und deren Familien. Am 6. Oktober kündigte die polnische Regierung, die ihrem eigenen jüdischen Bevölkerungsanteil gegenüber nicht eben freundlich gesonnen war, an, dass ein Erlass, der den 30. Oktober als letztes Datum für die Verlängerung von Pässen polnischer Staatsangehörigkeit im Ausland festschrieb, in Kraft treten werde. Diese Anordnung nahmen das Auswärtige Amt und die Gestapo am 28. Oktober für die Entscheidung zum willkommenen Anlass, Juden polnischer Herkunft aus dem Deutschen Reich auszuweisen.

Reichsweit wurden in der Nacht vom 28. auf den 29. Oktober etwa 18.000 Juden polnischer Herkunft (deren Familien inbegriffen) aus Deutschland, Österreich und dem Sudetenland nach Polen abgeschoben. Unter ihnen waren auch einige Harburgerinnen und Harburger, vierzehn sind namentlich bekannt, von denen neun später ermordet wurden. Ihre genaue Zahl lässt sich - anders als bei den späteren Deportationen in die Gettos und Vernichtungslager - nicht mehr feststellen, da keine Liste der Deportierten erhalten geblieben ist.

In der Gesamtschau wurden also am 28.Oktober 1938 etwa 18.000 Juden abgeholt und in der Folge nach dem Grenzgebiet deportiert, und um den 9.November 1938 herum wurden etwa 30.000 weitere Juden, in die deutschen KZs verschleppt, ohne dass sich größerer Widerspruch in der nicht­jüdischen Bevölkerung regte. So wurden insgesamt fast 50.000 Menschen jüdischer Herkunft innerhalb zweier Wochen aus ihrer Umwelt gerissen. 50.000 Menschen, das war fast ein Siebtel der Anfang 1938 noch im »Altreich« lebenden 350.000 Juden. Deportationen und offener Terror, überwiegend »diszipliniert« und organisiert, erwiesen sich für die nationalsozialistischen Machthaber so als gangbare Wege der Verfolgung - es regte sich kein bemerkenswerter Widerstand dagegen. 

Hier finden Sie Quellen aus einem lokalhistorischen Beispiel - Überlebende dieser Deportation aus Hamburg-Harburg berichten. 

 

Familie Goldberg

Unter den Deportierten befand sich Henny Goldberg (Jg. 1915), die jüngste von drei Töchtern des Ehepaares Hermann und Lotte Goldberg. Sie wurde gemeinsam mit ihrer Familie am 28.Oktober 1938 nach Polen abgeschoben. Die Familie, die gegen 1936 unter dem zunehmenden Druck der Anfeindungen und Verfolgung ins Hamburger Grindelviertel gezogen war, wurde am 28.Oktober verhaftet . Henny Goldberg erinnert sich:

»1938 kamen wir an die Reihe. Da mein Vater die polnische Staatsangehörigkeit besaß, wurden wir auch als Polen betrachtet, obwohl wir in Deutschland geboren worden waren. Hitler gab den Befehl, dass alle Polen, die im Oktober 1938 Deutschland noch nicht verlassen hatten, als Staatenlose betrachtet werden sollten. Wir dachten also, dass uns das auch passieren würde. Am 28.Oktober 1938 wurden wir von sechs SS-Männern aus dem Bett heraus verhaftet. Man brachte uns auf das Polizeirevier, und dort sahen wir, dass noch andere polnische Juden das gleiche durchmachten. Von dort brachte man uns in ein Gefängnis, wo wir den Tag verbrachten. Des Abends wurden wir zum Altonaer Bahnhof gebracht.«

Ihre Verhaftung beschrieb Henny Goldberg ausführlicher im Interview:

»Na ja, und dann sind wir verhaftet worden, am 28.Oktober, sind wir aus dem Bett geholt worden, frühmorgens, fünf Uhr. Das Schönste war: Meine Mutter hat morgens immer Brötchen geholt, und es klingelte an der Tür. Meine Schwester dachte: ‚Na, da hat sie wieder die Schlüssel vergessen.’ Und sie ging zur Tür. Da haben dann fünf SS-Mann gestanden und gesagt: ‚Ziehen Sie sich an, Sie müssen weg!’ Meine Mutter, wie eine Mutter war, sagte: ‚Ihr müsst erst Frühstück essen!’ ‚Nein’, haben die gesagt, ‚dafür ist keine Zeit mehr da.’ Und dann haben wir uns angezogen. Da hat der eine zu mir gesagt, ganz leise: ‚Nehmen Sie sich warme Sachen mit!’ Ich habe ihn gefragt: ‚Wo kommen wir hin?’, und er antwortete: ‚Das weiß ich nicht.’ Und dann hat er mir zugeflüstert: ‚Ziehen Sie sich warme Sachen an!’ Ich habe einen Koffer heruntergeholt und jedem gesagt, er soll warme Sachen mitnehmen. Heute muss man ja fast lachen. Und in der Aufregung habe ich mir Taschentücher aus meiner Schublade genommen. Alles hat man liegengelassen. Ich stand drei Wochen vor der Hochzeit. Dann sind wir auf die Polizeiwache gekommen, von dort ins Gefängnis am Holstenplatz, und dann abends hat man uns getrennt - Männer und Frauen. Da hatten wir Angst, wussten wir ja, dass es ernst war, sehr ernst war. Als wir noch auf der Wache waren, wenn wir auf die Toilette mussten, sind die mitgekommen, da haben wir noch gefragt: ‚Haben Sie Angst, wir laufen weg?’«

Henny Goldbergs ältere Schwester Reta schilderte die Umstände der Verhaftung so:

»Am 29.Oktober 1938 wurden meine Eltern und zwei Schwestern morgens um 5.00 Uhr von fünf SS-Männern verhaftet. Als wir angezogen waren, wurde meinem Vater gesagt, wir sollten unsere Pässe mitnehmen und für zwei bis drei Tage packen. Sie sagten, dass sie das Packen erwähnten, damit wir nicht sagen könnten, es sei davon nichts gesagt worden. Wir waren sehr aufgeregt, und so packte meine Mutter einen Satz Unterwäsche für meinen Vater ein, eine meiner Schwester packte Taschentücher in ihren Koffer, und alle taten wir unbedeutende Kleinigkeiten in unser Gepäck. Ich war die einzige, die Geld mitnahm. Ungefähr 65 Reichsmark hatte ich dabei. Eine meiner Schwestern hatte alles Geld, das sie in der Wohnung hatte, dort zurückgelassen. Wir wurden zu Fuß zur nächsten Polizeiwache gebracht und mussten dort unsere Pässe abgeben. Natürlich waren wir aufgeregt und sehr ängstlich. Sicher bedeutete das KZ oder ähnliches! Da waren so viele Leute auf der Wache, alles Glaubensgenossen. Die Polizisten bewachten uns rund um die Uhr, selbst dann, wenn wir zur Toilette wollten, kamen sie mit uns mit, um Tür und Fenster zu bewachen. Hatten sie Angst, wir würden entkommen oder uns das Leben nehmen? Nach ein paar Stunden wurden wir zum Hüttengefängnis transportiert, zum berüchtigten Gefängnis für die Straßenmädchen von der Reeperbahn. Sofort wurden alle Frauen und Kinder von den Männern getrennt. Das machte alles noch schwerer. Wir wurden ins dritte Stockwerk gebracht, und plötzlich fingen die Frauen an der Spitze an zu weinen. Die eisernen Gitter hatten sie verängstigt. Sie trieben uns zu jeweils etwa fünfundzwanzig bis dreißig Personen in eine Zelle, die für acht Personen gedacht war, und dort verbrachten wir einen Tag und einen Abend. Zum Mittag brachten sie uns eine Schüssel Gefängnissuppe, die jeder in die Toilette schüttete. Später kam ein Polizist und fragte, ob jemand von uns Schreibmaschine schreiben könnte. Meine ältere Schwester hat sich gemeldet. Deshalb konnte sie uns später erzählen, dass sie eine Liste all der Leute geschrieben hatte. Man hatte ihr auch gesagt, dass wir alle in jener Nacht deportiert werden würden. Sie bat um die Erlaubnis, Verwandte anrufen zu dürfen. Am Nachmittag kam dann eine Cousine, die mit einem Griechen verheiratet war, und brachte uns ein Brot, eine Wurst und eine Flasche Obstsaft. Das hat uns in den folgenden drei Tagen vor größerem Hunger bewahrt. Wir haben auch unseren Freunden davon abgegeben.«

Goldbergs hatten vorher wiederholt überlegt, ob sie nach Polen gehen sollten, wie Henny Goldberg  berichtete, verwarfen diese Überlegung jedoch jedes Mal wieder - was sollten sie dort auch?

»Da hat mein Vater gesagt: ‚Was sollen wir machen? Wir können ja nicht einfach gehen, alles lassen und nach Polen gehen!’ Wir kannten dort doch keinen, konnten kein Polnisch. Mein Vater konnte Polnisch. Da hat er gesagt: ‚Dann bleiben wir eben hier, werden wir eben staatenlos!’ Und er war ein Mensch, der immer sagte: ‚Schlimmes wird schon nicht passieren!’«

Die Verhaftung traf die Betroffenen offenbar ganz völlig unvorbereitet. Sie mussten nahezu ihre wenigen ihnen noch gebliebenen Habseligkeiten in ihren Wohnungen lassen - eine oft gern gesehene Beute der kleinen Profiteure des Verfolgungsgeschehens.

 

Familie Wellner

Eine andere Zeitzeugin, Erna Wellner (Jg. 1915) war eines der fünf Kinder von Samuel und Chaja Wellner. Die Familie zog - wie die Familie Goldberg - etwa 1936 von Harburg ins Hamburger Grindelviertel, um antisemitisch motivierten Anfeindungen in Harburg zu entgehen. Auch die Wellners wurden im Zuge der "Polenausweisung" verhaftet und abgeschoben. Erna Wellner berichtet über ihre Verhaftung:

»Als sie uns morgens um vier oder fünf abholten, holte mein Vater seinen Mantel raus - meine Mutter hatte einen warmen Mantel mit kleinem Pelzbesatz - und er fragte sie: ‚Wo ist dein Mantel? Zieh ihn an!’ Meine Mutter nahm den Mantel und warf ihn fort, und sie sagte: ‚Wenn ich alles verloren habe, will ich auch ihn verlieren!’ Und sie nahm einen Mantel, mit dem sie auf dem Harburger Sand Fisch kaufte. Meine Mutter hatte auch am Abend zuvor Fisch gekauft, und der Fisch schwamm in der Badewanne, lebte also noch, als sie uns abholten. Sie nahm also nicht ihren besten, ihren warmen Mantel, sondern den ältesten, den sie hatte. Ich hatte einen schönen Mantel, den nahm ich mit - schöne Kleidung war für mich immer wichtig. Er war bei Feldmann gekauft. Robert H. hatte ihn mir gekauft. Wir wurden morgens um fünf abgeholt, und dann müssen wir den ganzen Tag im Gefängnis zugebracht haben, denn sie transportierten uns am Abend weiter, wie spät es war, kann ich nicht sagen. Es war dunkel, sieben oder acht Uhr. Sie brachten uns, ich glaube in Bussen, zum Bahnhof, in den Zug. Wir bekamen Brote in Zeitung eingewickelt. Das fällt mir deshalb ein, weil mein Bruder Oskar Geld dabei hatte, und er wickelte es dazwischen.«

Ihr damaliger - ebenfalls jüdischer - Chef, Robert H., hatte von der Verhaftung erfahren und kam in das Gefängnis, um noch einmal mit ihr zu sprechen:

»Wie Robert H. davon erfahren hatte? Er war ja kein polnischer Jude, aber er kam - wir wurden ins Gefängnis gebracht -, und er kam ins Gefängnis und verlangte, mich zu sehen. Er kam mit einem großen Koffer, darin war alles mögliche für mich und meine Familie, Zigaretten, für meinen Vater und für mich, Handschuhe, Schals, warmes Unterzeug, für jeden etwas. Alles, was ihm eingefallen war, muss er in kürzester Zeit eingepackt haben. Dann zog er einen Ring, einen goldenen Ring vom Finger, und er sagte: ‚Erna, verkauf ihn, behalte ihn nicht, verkaufe ihn. Verkauf es! Du brauchst es. Verkauf es!’ Ich weiß nicht, wie lange wir miteinander sprachen. Sie holten mich aus der Zelle, machten die Tür auf und fragten - ‚Erna Wellner, ist Erna Wellner hier? Sie werden gewünscht, hier unten.’ Und er steht da, ich weiß nicht, wie er davon erfahren hatte, wie lange wir uns umarmten, ich weiß es nicht. Die Gestapo war dort, oder Polizei, und die waren recht freundlich. Sie nahmen mich ganz freundlich mit, als jemand sagte: ‚Sie müssen jetzt zurück’ - meine Mutter war inzwischen hysterisch geworden, sie dachte, das sei mein Ende. Ich nahm den Koffer, ich hatte den Ring, und sagte ihm ‚Aufwiedersehen’, und sie zeigten Emotionen, die Polizisten, die von der Gestapo, ich weiß es nicht. Dann zeigte ich allen in der Zelle - wie viele waren wir da? Zehn? Fünfzehn, zwanzig? Ich weiß es nicht, es waren genug für einen Menschen, ich war zuvor nie im Gefängnis, ich kann es nicht sagen. - ich musste ihnen erzählen, was geschehen war, denn meine Mutter dachte nicht, dass ich wiederkommen würde. Die hatten ja nicht gesagt: ‚Robert H. erwartet sie’, sondern: ‚Erna Wellner, Sie werden gewünscht, unten’, das war alles, was sie sagten.«

 

Abtransport

Einer der Sammelorte für die in ihren Wohnungen abgeholten war das Altonaer Hüttengefängnis, von wo aus die aus ganz Hamburg Zusammengetriebenen nach bangen Stunden des Wartens vom Altonaer Hüttengefängnis zum Altonaer Bahnhof gebracht wurden. Der Abschied von Hamburg fiel den Vertriebenen schwer. Reta Goldberg erinnert sich an den Abschied von Hamburg:

»Als uns die Polizei in jener Nacht sehr spät hinunter brachte, befanden die Männer sich bereits in der Halle. Wir bekamen jeder zwei Scheiben trockenes Brot. Wir wurden dann mit Lastwagen und Polizeiautos gegen Mitternacht auf den Altonaer Bahnhof gebracht. Ein letzter Blick auf die Reeperbahn - . Ein langer Zug, alles 4.Klasse-Wagen, erwartete uns. Und jetzt waren es SA-Männer, die die Wagen bewachten. Langsam rollte unser Zug aus dem Bahnhof, hielt noch einmal auf dem Hamburger Bahnhof, wo keine Menschenseele zu sehen war. Und wieder ging es langsam weiter. Wohin?

Die Unsicherheit, wohin die Reise gehen würde, blieb. Reta Goldberg erinnert sich, dass der Zug in der Nacht durch Berlin rollte, und später kam er neben einem anderen Zug mit ebenfalls verhafteten Juden polnischer Herkunft zum Stehen -

»Alle Fenster waren schnell geöffnet: ‚Woher? Wohin?‘ - Der Zug kam aus Hannover. Sehr früh am folgenden Morgen hielt unser Zug in Bentschen, wo wir den Zug verlassen mussten. Die Familiennamen wurden einzeln aufgerufen, wir bekamen die Pässe zurück, mussten aber Schmuck und fast das ganze Geld abgeben. Für uns fünf durfte ich die fünfundsechzig Reichsmark behalten.«

Von dem Zielbahnhof im Grenzgebiet bei Bentschen mussten die Deportierten den Weg zur Grenze zu Fuß zurücklegen. Henny Goldberg berichtet:

»Von dort zu Fuß über die Grenze, sind wir gelaufen. Das war ja egal, ob die Frauen schwanger waren, ob die Leute blind waren, ob sie Krüppel waren, ob sie laufen konnten oder nicht. Man musste gehen. Bis wir ans Niemandsland gekommen sind.

An der Grenze angekommen, blieben die aus ihrer deutschen Heimat Vertriebenen unschlüssig stehen. Hinter ihnen die deutschen Bewacher, die bewaffnet waren und versuchten, sie über die Grenze zu drängen - vor ihnen die polnischen Grenzsoldaten, die ihren Grenzübertritt zu verhindern suchten. Erna Wellner erzählte, dass ihr Bruder Oskar sich bemühte, mit den polnischen Soldaten ins Gespräch zu kommen, als plötzlich Schüsse fielen. Die Menge der Deportierten drängte über die Grenze ins Niemandsland. 

In Reta Goldbergs Erinnerung stellen sich die Vorgänge so dar:

»In einer langen Kolonne marschierten wir auf Umwegen zur Grenze, damit uns niemand sah. Als wir an der Grenze ankamen und im Niemandsland waren, trieb uns die SS unter Schreien wie ‚Geht, ihr Schweine!’ und mit Revolvern und Gewehren in unserem Rücken über die Grenze. Vor uns standen polnische Soldaten mit auf uns gerichteten Gewehren, die riefen: ‚Kommt nicht weiter!’ Wir setzten uns auf die Erde und warteten auf Schüsse. Zwei oder drei Schüsse fielen, und alle rannten nach Polen hinein, wogegen die Polen nichts tun konnten.«

Die Erinnerungen ihrer jüngerer Schwester Henny fallen noch drastischer aus. Die Beschreibung erinnert an Berichte späterer Deportationen und Todesmärsche:

»Dort (an der Grenze) hielten wir an, wir wussten ja auch nicht - und da sind die Nazis gekommen, mit ihren Gewehren, und das war furchtbar, die Gewehre mit den Bajonetten drauf. Sie haben gesagt: ‚So, jetzt geht rüber, sonst erschießen wir Euch!’ Und da sind alle gelaufen. Wir kannten eine Familie, die hatten ein Neugeborenes, und die liefen. Dabei fiel das Baby auf den Boden. Ein Nazi kam und wollte mit seinem Fuß auf das Kind eintreten - da habe ich den so geschubst, der ist so hingefallen, das war mir ja egal. Sie konnte das Baby aufnehmen und weitergehen.«

Die polnischen Grenzsoldaten hatten den sie förmlich überrennenden jüdischen Männern, Frauen und Kindern buchstäblich nichts entgegenzusetzen. Damit hatte das Elend der jüdischen Ausgewiesenen jedoch noch lange kein Ende. Sie mussten erst noch den Weg nach dem Grenzort Zbaszyn zurücklegen, wo sie provisorisch untergebracht werden sollten .

Henny Goldberg schildert die Situation so:

»Und dann sind wir auf der anderen Seite wieder gelaufen, durch das Niemandsland, nach Zbaszyn. Das waren auch einige Kilometer. Als wir dort ankamen, wussten die gar nicht, was sie mit uns anfangen sollten. Wir waren 8000 Leute aus ganz Deutschland. Dort war ein großer Pferdestall. Das waren lauter Pferdeställe, mit einem Tor davor, und dort haben sie uns reingebracht und gesagt: ‚Legt Euch da hin!’«

Hennys Schwester Reta erinnert sich einiger Wagen, die kamen, um die Älteren, Kranken und Kinder nach Zbaszyn zu bringen. Auch kamen Reporter, die erste Aufnahmen machten, die später in verschiedenen ausländischen Zeitungen erschienen.

Zu den Lebensbedingungen der Deportierten in Zbaszyn