Zerstörungen von Geschäften jüdischer Eigentümer in der Harburger Innenstadt

Auch die Geschäfte jüdischer Eigentümer und solche, die einmal im Besitz von Juden gewesen waren, wurden Gegenstand der Übergriffe.

Im später gegen die Synagogenschänder ausgesprochenen Urteil heißt es:

»Auch bei den größeren jüdischen Geschäften im Geschäftsviertel im Stadtteil Harburg waren tagsüber am 9. November [es muss 10. November heißen] 1938 Polizeischutzposten aufgezogen. Sie konnten bis zum Einbruch der Dunkelheit jegliche Zerstörungen verhindern. In den Abendstunden - eine genauere Zeitangabe oder zeitliche Einordnung im Verhältnis zu den Zerstörungen an Synagoge und Leichenhalle ist nicht möglich - wurden an vielen jüdischen Geschäften und vereinzelt auch ehemals jüdischen Geschäften die Schaufensterscheiben zertrümmert und andere Schäden angerichtet. Es konnte nicht festgestellt werden, ob diese Taten durch die Teilnehmer der von der Synagoge ausgegangenen Demonstrationszüge verübt worden sind, oder ob andere Täter hierfür in Betracht kommen. Sicher ist, dass ein vom Feuer auf dem Sand abziehender Trupp das an der Ecke der Neuen Straße und Ludwigstraße belegene Geschäft eines jüdischen Althändlers demolierte, obwohl diesen Leuten das offenbar inzwischen schriftlich ergangene Verbot weiterer Zerstörungen bekannt gegeben worden war. Ein gesondert von der Synagoge abfließender Demonstrationszug begab sich zu dem 250 Meter entfernt an der Ecke Linden- und Karlstraße liegende Geschäft der Geschwister Stapelfeld, einer Möbel- und Textilhandlung. Teilnehmer dieses Zuges zertrümmerten die großen Schaufensterscheiben des Ladens und warfen die ausgestellten Möbelstücke auf die Straße.

Hermann Westphal erinnert sich an die Umstände der Übergriffe auf die Firma Geschwister Stapelfeld:

»Wir haben […] gesehen, dass ein Zivilist sich ein paar Leute geschnappt hat, fünf, sechs, und ist mit denen zu einem in der Nähe liegenden jüdischen Möbelhändler gezogen. Das war so ein kleiner Möbelhändler, der hatte zwei Schaufenster in einer Arbeiterwohnstraße. Und dann haben sie dort die Scheiben eingeschmissen und angefangen, die Möbel auf die Straße zu werfen. Das war der damalige Gauamtsleiter vom Gau Ost-Hannover, Lütt, der wohnte bei uns im Nachbarhaus, daher kannte ich den auch, und der war mit seiner Frau da. Na ja, und das gab natürlich ein fürchterliches Gepolter und Lärm, und dann kam ein Polizist von einer nahegelegenen Revierwache angelaufen. Der schrie dann: ‚Was ist hier los? Aufhören!‘ Und dann mischte sich der Lütt ein und schickte den Polizisten wieder weg.«

Auch die Fensterscheiben der Firma Lindor gingen zu Bruch. Die Firma Lindor war zum Teil jüdisches Eigentum gewesen, befand sich aber auf dem Wege der »Arisierung«. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft, die als Vermieterin für die Versicherung der Schaufenster zuständig war, lehnte eine Schadensregulierung ebenso ab wie deren Versicherungsunternehmen, das jeden Anspruch mit Hinweis auf eine Anweisung Görings, dass die Juden für die Schäden aufzukommen hatten, zurückwies. Wie dieser Fall ausging, ist nicht bekannt.

Die Plünderungen der Geschäfte jüdischer Eigentümer brachten ihre ganz eigenen Profiteure hervor, wie Johanna Meier 1943 im Exil notierte:

»In der Nacht der Schaufensterzertrümmerung, die so viel Volksvermögen verschlang, suchte jeder die beste Beute zu erraffen. Nie wieder so viele Pelze von Beamtendamen getragen als kurz nach Ausbruch der ‚kochenden Volksseele'.«

Über die Täter...