Die Synagogen-Schändung in Hamburg-Harburg

Auch die Synagoge in der Eißendorfer Straße war Ziel der Zerstörungswut. 

Am 19. Mai 1863 eingeweiht, diente sie der Harburger Gemeinde fünfundsiebzig Jahre lang, bis zu ihrer Schändung im Jahre 1938, als Gottes- und Versammlungshaus. Sie war das religiöse und kulturelle Zentrum der Gemeinde und ihrer Mitglieder.

Bereits im Jahre 1933 wurde das im Harburger Volksmund »Judentempel« genannte Gotteshaus Gegenstand einer baupolizeilichen Überprüfung.

Die Baupolizei teilte dem Gemeindevorsteher Fliess am 25. Juli 1937 mit, dass bei einer Ortsbesichtigung festgestellt worden sei, dass die Konstruktionshölzer des Daches vom Holzborkenkäfer und dessen Larven befallen seien. Daher wurde die Gemeinde aufgefordert, für die Renovierung und den neuen Anstrich zu sorgen. Trotz angespannter Haushaltslage der Gemeinde wurden die notwendigen Erneuerungen im selben Jahr zur Zufriedenheit der Baupolizei ausgeführt.

Im März 1937 wurde der Zustand der Einfriedung des Grundstückes bemängelt. Im Dezember desselben Jahres hieß es in einem Schreiben des Stadtbauamtes an die Baupolizei, dass die Ecke Albersstraße/Eißendorfer Straße, an der das jüdische Gotteshaus belegen war, durch eine Hecke auf dem Synagogen-Grundstück so unübersichtlich sei, dass es wiederholt zu Auffahrunfällen gekommen sei.

Aus diesem Grunde müsse die Hecke zurückgeschnitten werden. Bereits vor der Synagogen-Schändung versuchten die Harburger Nationalsozialisten mit zunehmender Vehemenz, die Beseitigung des Gotteshauses unter Zuhilfenahme städtebaulicher und verkehrstechnischer Argumente zu forcieren.

NSDAP-Kreisleiter Drescher schrieb am 20. Oktober 1938, drei Wochen vor der Synagogenschändung, an die Ratsherrenkanzlei Hamburg, er erbitte die Unterstützung der zuständigen Behörden bei der Beseitigung des Gotteshauses:

»Ich wünsche zu Punkt 4 der Tagesordnung der nichtöffentlichen Ratsherrenberatung das Wort betr. die Synagoge in Harburg. […] Da die Synagoge an einer sehr verkehrsreichen unübersichtlichen Ecke liegt, bitte ich zur Entfernung der Synagoge um Hilfe seitens der Verkehrspolizei und der Gemeindeverwaltung.«

Auch Johanna Meier, erinnerte später, dass schon vor dem 10. November die Forderung erhoben wurde, die Synagoge zu beseitigen:

»Nach dem Mord an dem deutschen Gesandten v. Rath in Paris stieg die antisemitische Kurve zu schwindelnder Höhe. Eine sehr beträchtliche Judensteuer wurde uns auferlegt. Pardon wurde nicht gegeben. Wer nicht genügend flüssiges Geld hatte, musste Werte verkaufen. […] Goebbels gab den denkwürdigen Befehl an die Hitlerjugend: Zwölf Stunden Demonstrationsfreiheit. Die halbwüchsigen Barbaren ziehen los. Alle jüdischen Fenster- und Schaufensterläden werden zertrümmert, Synagogen geschändet, Friedhöfe verwüstet. Auffallend ist, dass unser Gauleiter schon acht Tage vorher verkündete: ‚Das Schandmal an der Eißendorferstraße muss verschwinden!’ Die Synagoge. Er war es auch, der unter Spott- und Jubelrufen die zwei silbernen Schabbattleuchter vor dem Portal grinsend vorwies.«

Die Synagogen-Schändung begann am 10. November 1938 offenbar zwischen 18.30 und 19.00 Uhr, also etwa zeitgleich mit der Schändung des jüdischen Friedhofes, vielleicht sogar etwas früher, vielleicht auch etwas später.

Bereits am Vormittag des 10. November hatte der oberste Polizeibefehlshaber Harburgs, so ist ebenfalls dem Prozess-Urteil zu entnehmen, einen Posten vor der Synagoge aufziehen lassen. Zwischen 16.00 und 17.00 Uhr meldete einer der Polizeibeamten,

»[…], dass mit zur Kenntnis der Partei gelangten Flugzetteln die Bevölkerung für den Abend zu einer Großkundgebung an der Synagoge aufgerufen worden sei.«

Der Polizeibefehlshaber H. ließ daraufhin sämtliche dienstfreien Polizeibeamten alarmieren und befahl verstärkten Schutz für die Synagoge. Die Polizei besetzte die westlichen und südlichen Zugänge der Straßenkreuzung Benningsen- und Albersstraße/Eißendorfer Straße mit Doppelposten, während die Benningsenstraße und der Ostteil der Eißendorfer Straße nicht besetzt wurden.

»Man nahm - es war zwischen 18.30 und 19 Uhr - den durch das Feuer der Leichenhalle entstandenen hellen Schein am nächtlich dunklen Himmel wahr. Zu diesem Zeitpunkt kam ein Trupp von Menschen aus Richtung Neue Straße auf die Synagoge zu. Die Leute hatten schweres Werkzeug, wie Äxte, Kreuzhacken und dergl. bei sich. Sie machten am Landratsamt Halt. Zugleich strömten viele Menschen aus der Benningsenstraße auf die Synagoge zu. Der Zeuge St. erfuhr, dass ein weiterer Trupp aus Richtung Schwarzenberg kommend zu erwarten sei.«

Dass vor Beginn der Schändung der Synagoge der Feuerschein vom Schwarzenberg zu sehen gewesen seien, würde darauf hindeuten, daß die Ausschreitungen an der Synagoge denen am Friedhof folgten.

Hans Drescher (Jg.1923), Sohn des ehemaligen Harburger NSDAP-Kreisleiters, war ebenfalls Zeuge der Ausschreitungen. Er erinnert sich. Seinen Erinnerungen zufolge gingen Ausschreitungen gegen Firmen jüdischer Eigentümer dem Treiben am Friedhof und der Synagoge voraus.

»Ich hatte am 10. November Wache vor dem Heim des Jungvolks am Peterweg in Heimfeld, das dort in der Nähe der Pauluskirche. Bei Beendigung des Dienstes, das mag bei Beginn der Dunkelheit, um fünf, halb sechs herum gewesen sein, fuhr ich mit dem Fahrrad nachhause, aber nicht den üblichen Weg, sondern in Richtung Innenstadt, denn man hatte uns zugerufen, dort wäre was los, es wären Scheiben eingeschlagen worden, und auch die Synagoge wäre beschädigt. Und ich fuhr dann in Richtung Synagoge. Da war ein großer Menschenauflauf, das nahm schon zu an der oberen Bergstraße und auf dem Schwarzenberg.«

An der Synagoge sorgte, so der junge Drescher, ein HJ-Bannführer unter den dort tobenden Jungs für Ordnung.

»Und als ich vor der Synagoge ankam, sah ich den Bannführer der Hitlerjugend, Herrn Stolt, dort stehen. Er hatte einige kleine Bücher in der Hand, und eins hob er auch gerade auf, und im übrigen war er damit beschäftigt, den Jungs zu sagen: ‚Nun ab nachhause!’ Ich würde sagen, er scheuchte sie förmlich dort weg. Er achtete auch auf die Mädchen dazwischen und sagte: ‚Und jetzt haut Ihr auch ab!’ Vor der Tür standen zwei SA-Posten mit Schildern, so bunte, große Pappdeckel, am nächsten Tag sind die dann erneuert und ein bisschen größer gemacht worden. Auf dem Schild stand: ‚Der feige Mord an unserem Volksgenossen vom Rath fordert Sühne’. Und auf dem anderen: ‚Wer mit dem Juden kämpft, ringt mit dem Teufel’. Das stand auch auf einem Plakat, das in der folgenden Woche bei uns im Klassenzimmer hing.«

Der Zeuge Hermann Westphal schildert die beginnenden Ausschreitungen sehr eindringlich und detailliert; die Inbrandsetzung, so Westphal, wurde von einem Nachbarn der Synagoge, weil auf einem angrenzenden Grundstück eine Benzinpumpe war:

»Und dann kam ein Trupp vom schräg gegenüber liegenden Landratsamt, da haben die sich versammelt, das waren so Amtswalter oder politische Leiter, und die kamen mit Äxten und Picken und solchen Instrumenten, und schlugen dann die Tür ein und drangen ins Gebäude ein. Da konnte man von draußen sehen, da war drinnen Licht, und dann haben sie die Fensterscheiben kaputtgeschlagen und haben alle möglichen Dinge, Kultgegenstände, rausgeworfen, aus dem Fenster, Leuchter und Schriften und Bücher. Und dann kam noch der Kreisleiter angefahren, mit einem Auto, die fuhren ja gerne mal im offenen Wagen, und ließ sich da wohl berichten, das hab ich weiter nur optisch wahrgenommen. Dann wollten sie das Gebäude anstecken, und dann kam ein Handwerksmeister von nebenan gelaufen, da war eine Autoreparaturwerkstatt, das grenzte unmittelbar an das jüdische Gotteshaus. Der hatte auf dem Hof eine Tankstelle, wie das früher üblich war und hatte nun Angst, dass das Benzin in Mitleidenschaft gezogen und explodieren würde, und da hat man das also nicht angesteckt.«

Die Synagogenschänder, die sich gewaltsam Zutritt zu dem Gotteshaus verschafft hatten, schlugen die bleiverglasten Fenster ein und warfen Möbelstücke, Gebetbücher und andere Kultgegenstände hinaus auf die Straße. Das Gericht hielt elf Jahre später fest:

»Mit Äxten und Hämmern wurde das Kirchengestühl zerschlagen und sonstige Verwüstungen angerichtet. Es war ein unübersehbares Durcheinander entstanden. Plötzlich erscholl aus dem Getümmel der Ruf ‚Benzin her’. Nunmehr begann die Polizei den Tempel zu räumen. Sie benutzte dabei den von der Menge weitergegebenen Ruf ‚Raus zum Demonstrationszug’. Zu einem solchen hatte der Angeklagte X. in einer kurzen Rede aufgefordert. Die aus dem geplünderten Gebäude herausstürmenden Menschen nahmen an sich, was sie an Gebetbüchern, Talaren, Mützen und anderen Kultgegenständen erlangen konnten und bildeten eine große und mehrere kleinere Menschenströme, die sich in widerlichem Aufzug durch die Albersstraße und die Eißendorfer Straße in Richtung Stadtmitte fortbewegten. Mit ihnen zog der größte Teil der gaffenden und agierenden Menge davon, um neu Zuströmenden Platz zu machen. Immerhin gelang es der Polizei, einen freien Raum um den Tempel herum abzusperren. Demonstranten, die in den Tempel hineinzugehen wünschten, wurden jedoch auch weiterhin von der Polizei nicht gehindert. Das Zerstörungswerk ging weiter.«

Der gleichen Quelle lässt sich entnehmen, dass die Frau des Schuhmachers Karl Maidanek, Helene Maidanek, schreckliche Momente während dieser Ausschreitungen durchlebt haben muss. Sie war gemeinsam mit ihrem Mann zum 1. November 1938 in die Kellerwohnung unter der Synagoge eingezogen, wo sie sich zum Zeitpunkt der geschilderten Ereignisse in Gesellschaft von zwei Bekannten aufhielt. Ihr Mann war kurz zuvor am selben Tag verhaftet worden, wie Johanna Meier in ihren Memoiren erinnert:

»Als der Tempeldiener, ein Jude, von der beabsichtigten Brandstiftung der Synagoge hörte, eilte er nach der Polizei. ‚Schützen Sie uns, man will die Synagoge anzünden!’ - ‚Ja’, sagten die Beamten lachend, ‚wir wollen Sie schützen. Bleiben Sie nur gleich hier!’ - und sie hielten ihn fest.«

Im Urteil zum Synagogenschänderprozess heißt es, Frau Maidanek und ihre Bekannten zitterten

»um ihr Leben […], da man drohend in den Keller gerufen hatte: ‚Jude, komm’ heraus, gleich fliegt die Synagoge hoch!’ Frau Maidanek wandte sich um Schutz an den Angeklagten Drescher, der etwa zu dieser Zeit mit einem Stab von Mittätern an der Synagoge angelangt war und das Zerstörungswerk in Augenschein nahm.«

Sie konnte sich dann im Schutz eines Polizisten unbehelligt entfernen.

Ob es in der Synagoge gebrannt hat, oder ob der von vielen Zeugen wahrgenommene flackernde Wiederschein von Flammen nur von der Reflektion der mitgebrachten Fackeln herrührte, lässt sich nicht sicher klären. Dass die Polizisten bemüht waren, aus Sorge, dass durch das mögliche Übergreifen der Flammen auf angrenzende Gebäude oder Grundstücke weitere Schäden auftreten würden, eine Brandstiftung zu verhindern, klingt angesichts der nahegelegenen Kfz-Werkstatt mit einer eigener Benzin-Zapfsäule durchaus plausibel.

Die Menge zog dann in Richtung zum Harburger Sand ab, wo unter großem Gejohle die mitgeschleppten, erbeuteten Kultgegenstände aus der Synagoge verbrannt wurden. Einer der Nazis verkleidete sich mit Hilfe eines Gebetschals als Rabbiner und tat, als bete er auf Hebräisch.

Wie lange die Ausschreitungen an der Synagoge selbst dauerten, wie viele an ihnen beteiligt waren, bleibt ungewiss.

Diese Schändung des Gotteshauses hat es, das steht fest, nicht ganz zerstören können. Sein Zustand war sogar, wie das Bauprüfamt Harburg der Harburger Baupolizei 1939 bestätigte, noch zufriedenstellend:

»Gemäß mündlicher Anordnung teilen wir hierdurch mit, dass die Synagoge auf dem Grundstück an der Eißendorfer Straße sich in einem ordnungsmäßigen baulichen Zustand befindet. Es sind lediglich die Fensterscheiben zertrümmert. Die Fensteröffnungen sind jedoch ordnungsmäßig mit Brettern verschalt. Jedenfalls kann der jetzige Zustand nicht als ruinenhaft bezeichnet werden.«

Am 14. Dezember 1938 hatte der Hamburger Polizeipräsident sich jedoch bereits zum Abriss der Synagoge - aus verkehrstechnischen Gründen - entschieden:

»Die in dem Schreiben des Kreises 8 der NSDAP gemachten Angaben über die Verkehrslage an der Straßenkreuzung Benningsenstraße/Eißendorfer Straße/Albersstraße im Stadtteil Harburg entsprechen den Tatsachen. Außerdem wechseln die Straßenbahnschienen in der abschüssigen Benningsenstraße kurz vor der Kreuzung Eißendorfer Straße nach der linken Straßenseite, so dass infolge der eintretenden Verengung der Fahrbahn […] Fahrzeuge, um nicht mit der Straßenbahn zusammenzustoßen, zum Ausweichen auf den Gehweg oder zum Halten gezwungen sind. Hierdurch treten Verkehrsbehinderungen und Gefährdungen auf, die im Zeichen der fortschreitenden Motorisierung des Verkehrs und im Kampfe gegen den Verkehrsunfall nicht mehr geduldet werden können.«

Die Synagoge wurde jedoch offenbar erst im Jahre 1941 abgerissen, das Grundstück am 22. August 1939 an Erna H., die Eigentümerin der angrenzenden Autowerkstatt verkauft.

Über die Täter...