Brief vom April 1941
- April 1941 Liebe Eltern und Ingrid!
Leider habe ich noch keine Post wieder erhalten, so dass nichts zu
beantworten ist.
Wie geht es Euch? Seid Ihr gesund?
Hört Ihr gar nichts von Dr. Gerson?
Ich habe einmal an ihn geschrieben und keine Antwort erhalten wegen
Auswanderung.
Zu Ingrids Schuleintritt werde ich Geld schicken für Beschaffung der
Schulsachen und Neueinkleidung, denn schließlich habe ich das Sorgerecht
über die Kinder. Ich bekomme regelmäßig monatlich RM 15 von der
[jüdischen] Gemeinde und verbrauche nur RM 5, so dass es mir möglich ist,
zeitweise für die Kinder zuzusteuern, aber nicht für die Sparkasse.
Habt Ihr jetzt meine Briefe vollständig erhalten?
Zu Hertas Geburtstag innige Glückwünsche, sowie zum Vater- und Muttertag
viele Küsse von Eurer Irma.
Wenn Ihr zum Geburtstag geht, so lasst doch bitte Herta und Lilly auch ein
paar Zeilen schreiben und gebt sie mir zu Eurem Brief.
Noch eine Frage: Beschreibt mir doch bitte mal, wie die Kinder jetzt
ausschauen, ob Ingrid noch Locken hat und Irene mit mir Ähnlichkeit
hat?
Nun bleibt gesund, grüßt alle und seid gegrüßt und geküsst
Irma
Erklärungen
- "Mit dem Geld, das von zu Hause geschickt werden
durfte, konnten in der Häftlingskantine einige zusätzliche Nahrungsmittel,
Toilettensachen und die für jede Häftlingskategorie gesondert
vorgeschriebenen Briefformulare für den monatlich erlaubten einen Brief,
seit Kriegsbeginn auf 16 Zeilen begrenzt, eingekauft werden." [Studien
zur Geschichte der KZ, Schrieftenreihe der Vierteljahreshefte für
Zeitgeschichte, Stuttgart 1970, S. 111]
Die Mutter erhielt das Geld von der jüdischen Gemeinde.
Anstatt sich zusätzliche Lebensmittel zu kaufen, sparte sie den größten Teil
und schickte es für die Kinder nach Hause. Besonders dieser Brief ist ein
Dokument der Unmenschlichkeit. Die Kinder musste sie vor drei Jahren verlassen.
Bilder hat sie nie erhalten.
Die jüdische Gemeinde in Hamburg hat in der Zeit der
größten Not nicht nur die Mutter im KZ,
sondern auch Irene unterstützt, als die Sozialverwaltung die
Unterstützungszahlungen einstellte.
Dabei fragte die Jüdische Gemeinde nicht danach, ob sie
gläubige Juden, Getaufte oder Ungläubige waren.